Notfälle in der Hausarztpraxis: Vortrag Dr. Rohr, practica Bad Orb 2007

„Wenn ein Patient in der Praxis bewusstlos umkoppt, denken Sie zuerst an den Notruf!“ Dr. med. Friedel Rohr, Allgemeinarzt und Notfallmediziner aus Framersheim, weiß, warum er dies den Teilnehmern im practica-Seminar besonders eindringlich einschärft: „Wenn Sie erst mit verschiedenen Maßnahmen am Patienten begonnen haben, wird der Notruf in der allgemeinen Stresssituation oft vergessen“.

Handfeste Tipps direkt aus der Praxis konnten Seminarleiter Rohr und Rettungsassistent Machemer den Arzthelferinnen und Ärzten vermitteln. Zwar haben alle mit einigen Jahren Berufspraxis auch schon einigen Patienten in Notfällen helfen müssen, doch den Notarzt ist der Ausnahmefall Routine, und er weiß, wo es eng werden kann in der Hausarztpraxis. „Packen Sie sich Notfallsets für wahrscheinliche Notfälle, die in Ihrer Praxis auftreten können“, rät Dr. Rohr.

„Männlich, groß, blond, stark – fällt um“

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Der berühmt große starke Mann, der nach der Blutabnahme schwächelt, fehlt nicht bei den Fallbeispielen, schon, um ein Schmunzeln bei den Seminarteilnehmerinnen auszulösen. Doch dann fordert Dr. Rohr das versammelte Fachwissen der Teilnehmer mit Notfällen, die sich jederzeit in der Hausarztpraxis ereignen können: Ein Asthmaanfall, eine allergische Reaktion, Hyperventilation, Herzinfarkt oder Schlaganfall.

Maximal 10 Sekunden dürfe man aufwenden, um bei einem Herzstillstand zu prüfen, ob zu sehen ist, dass sich Brustkorb und Bauchdecke bewegen und dies durch Auflegen der Hände zu fühlen. Dr. Friedel Rohr hat eine einfache Botschaft, um den Schaden für den Herzmuskel in dieser dramatischen Situation zu begrenzen: „Time is muscle“ Die Überlebensrate bei Herzstillstand nimmt jede Minute um 10 % ab“. Rohr verweis auf die aktuellen Eckpunkte der Bundesärztekammer für die Reanimation, deren Ziel es ist, das Vorgehen bei Erwachsenen und Kindern so weit wie möglich zu vereinheitlichen und vor allem zu vereinfachen. „Komplizierte Empfehlungen beeinträchtigen den Erfolg von Reanimationsmaßnahmen nachweislich“.

„Time is muscle“

Dreißig-Zwei. Die Zahl wird später in einem kleinen Testat unter den Seminarteilnehmern abgefragt werden. 30:2 ist das nach dem BLS-Algorithmus richtige Verhältnis von Herzdruckmassage und Beatmung: „Sie beginnen bei Erwachsenen sofort mit 30 Kompressionen, dann folgen zwei Beatmungen, dann wieder 30 Herzdruckmassagen.“

Bei der cardio-pulmonalen Reanimation ist die Beutelbeatmung den anderen Techniken weit überlegen. Die inspiratorische Sauerstoffkonzentration beträgt bei der Beutel-Masken-Beatmung bis zu 95 % unter Verwendung eines Reservoirbeutels, bei der Mund-Nase-Beatmung lediglich 17 %. Dr. Rohr lässt einige Seminarteilnehmer den richtigen Griff üben, um die Beatmungsmaske auf Mund und Nase des Patienten zu fixieren: den sogenannten C-Griff, bei dem Zeigefinger und Daumen wie ein großes C über der Maske liegen.

Bei Kammerflimmern bleiben dem Herzmuskel maximal 12 Minuten bis zum Stillstand. Doch den Ersthelfern in der Hausarztpraxis bleibt nicht einmal die Hälfte dieser Zeit: Die Überlebensrate von 50 % nimmt in jeder Minute um 10 % ab. „Die Therapie des Kammerflimmerns ist die sofortige elektrische Defibrillation“, so Notfallmediziner Dr. Rohr. „Zwar sind die Rettungsdienste in Deutschland mit lebensrettenden Geräten ausgestattet, doch sind die besten Überlebenschancen bis zum Eintreffen der Rettungsprofis in der Regel auf unter 10 % gesunken“. Rohr erklärt die Funktion der Defibrillatoren, die in der Hausarztpraxis üblich sind, und verweist auf die überlegene Wirksamkeit eines biphasischen Rechteckimpulses bei der Defibrillation: „99 % der Patienten werden beim ersten Schock erfolgreich defibrilliert, zudem benötigt man 58 % weniger Energie im Vergleich zu monophasischen Schocks. Weniger Strom heißt weniger Schäden am Herzmuskel.

Venöser Zugang ist wichtig

Dr. Rohr macht den Helferinnen auch klar, wie immens wichtig es ist, bei jeder sich bietenden Gelegenheit das Legen von Zugängen zu üben: „Nutzen Sie jede Routine-Infusion in der Hausarztpraxis, denn im Notfall dürfen Sie nicht nur eine Infusion mit einer Kochsalzlösung legen, Sie müssen es sogar, wenn Sie es können. Und dem Notarzt kann nichts besseres passieren, als einen Patienten vorzufinden, der schon einen venösen Zugang hat.“

Eine jugendliche Patientin kommt aufgeregt in die Praxis, klagt über Luftnot, ein Engegefühl in der Brust, Schwindel, Sehstörungen und ein Kribbeln um den Mund. Dr. Rohr nennt die Symptome, die auf ein Hyperventilationssyndrom hindeuten. Auch hier ist schnelles, kompetentes Handeln in der Hausarztpraxis erforderlich. Die Helferin kann mit der richtigen Lagerung, dem Beruhigen des Patienten sowie Blutdruck- und Pulskontrolle reagieren. Die Notfalltherapie für den Arzt besteht beim Hyperventilationssyndrom in der CO2-Rückatmung und ggf. der Gabe von Sedativa. Im Zweifelsfall sollte die Patientin in die Notaufnahme eingewiesen werden: Hier kann eine Blutgasanalyse zur Diagnosefindung beitragen (erniedrigtes pCO2 und nomales oder erhöhtes pO2 unter Raumluft.)

Nach der Bewältigung des Notfalls versprechen psychosomatische Ansätze den größten Erfolg bei der Behandlung einer Hyperventilationssyndroms – so Dr. Rohr.

Reanimation bei Erwachsenen

Wesentliche Änderungen beim Basic Life Support (BLS)

Die Entscheidung zum Start von Reanimationsmaßnahmen fällt, sobald ein Patient nicht mehr ansprechbar ist und nicht mehr normal atmet.

Bei Durchführung einer Herzdruckmassage die Hände in der Mitte des Brustkorbes aufsetzen (also auf die untere Hälfte des Brustbeines).

Jede Notfall-Beatmung dauert eine Sekunde.

Für Erwachsene im Kreislaufstillstand beträgt das Verhältnis von Kompression zu Beatmungen 30:2.

Beim Erwachsenen entfallen die bisher gelehrten zwei Initialbeatmungen: Sofort nach Eintreten des Kreislaufstillstandes wird mit 30 Kompressionen begonnen.